Oldtimer: 60 Jahre Volvo Amazon (P120-123)

Der Volvo Amazon ist fast schon eine Legende. (Bild:©Volvo Cars)


Er wurde zum Inbegriff unvergänglicher schwedischer Schönheit. Mit verführerischen Formen und legendärer Langlebigkeit machte der Volvo Amazon die Göteborger Marke weltweit bekannt. Anderthalb Jahrzehnte zeichnete der Amazon das Bild zeitloser und unzerstörbarer Limousinen und Kombis. Und das in einer Epoche, die von modischer Schnelllebigkeit bestimmt war.

Den Durchbruch zum Volumen- und Volksautohersteller verdankt Volvo der berühmten "Buckel-"Familie PV444 und PV544mit Fastbacklinien im Vorkriegsdesign. Der Aufstieg zum global erfolgreichen Hersteller eleganter Limousinen und früher Familienkombis gelang den Skandinaviern aber erst mit einem aufregenden Auto, dessen Name bei der ersten Vorstellung im Februar 1956 noch nicht verraten wurde. Was auch daran lag, dass die vorgesehene Modellbezeichnung Amazon nicht auf allen Märkten verwendet werden durfte, lagen ihre Markenschutzrechte doch etwa in Deutschland bei Motorradbauer Kreidler und Landmaschinenhersteller Amazone. So startete die neue Volvo-Mittelklasse außerhalb Skandinaviens unter dem profanen Typencode P120, bekannt wurden die Vierzylinder dennoch als Amazon. Oder wie in der amerikanischen Werbung als unverwüstliches "Family Sports Car with the 100.000 Mile Reputation".

Wobei der Antrieb des Amazon im Alltag sogar gut war für mehrere Millionen Meilen, wie ein Volvo 1800 S mit B18-Motor bewies, der sich so einen entsprechenden Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde sicherte. Seine sportlichen Qualitäten wiederum beschleunigten den Amazon an die Spitze der Tourenwagenchampionate der 1950er und 1960er Jahre. "Schnell wie ein Raketenstart", jubelte der Formel-1-Weltmeister Mike Hawthorn bei seiner ersten Testfahrt im Amazon und in Deutschland hatte Volvo sogar eigens eine Kundendienststation-Adresse "Nürburgring Start und Ziel". Diese Talente waren es, die den mit Sicherheitsinnovationen wie gepolstertem Armaturenbrett und Dreipunkt-Sicherheitsgurten auftrumpfenden Amazon bis 1970 frisch hielten. Allein der zeitgleich eingeführte Citroen DS blieb länger aktuell - aber nicht auf den Straßen präsent. Dagegen befinden sich dort die zähsten Amazon noch heute im Alltagseinsatz.

Seinen größten Verkaufserfolg feierte dieser Volvo erst im fortgeschrittenen Alter von elf Jahren. Da hatte er die meisten seiner zeitgenössischen Konkurrenten längst überlebt und sein designierter Nachfolger, die Volvo-Reihe 140, war schon ein Jahr auf dem Markt. Dennoch setzte sich der Amazon 1967 noch einmal auf Platz eins der schwedischen Zulassungscharts und auch im sonst so modebewussten Nordamerika trieb der Oldie die Volvo-Absatzzahlen auf ein neues Allzeithoch. Dazu beitragen konnte auch der Amazon Kombi P220, der mit seiner geteilten Hecktür ganz dem amerikanischen Geschmack entsprach. Anders als der kastenförmige erste Volvo Duett oder Konkurrenten mit Lieferwagencharme, setzte der Amazon mit Ladeluke auf den Charakter eines Familienfahrzeugs mit einem Hauch Lifestyleflair.

Womit er dem später noch erfolgreicheren Volvo 145 Kombi den Weg bereitete, zumal die Bänder des Amazon P220 im Jahr 1969 stoppten, um Kapazitäten für den Nachfolger frei zu machen. Am 3. Juli 1970 fuhr dann die letzte Amazon Limousine direkt vom Werk Torslanda ins Volvo-Museum. Das nicht ohne noch im finalen Jahr Zeichen gesetzt zu haben durch serienmäßige Sicherheitsgurte für die Rücksitze und die Etablierung des Slogans "Sicherheit durch Schwedenstahl" in Deutschland. Auf die folgende lange Karriere des Amazon als kultiger Gebrauchtwagen deutete damals bereits eine offizielle schwedische Statistik, die dem Volvo das Doppelte der üblichen Pkw-Lebenserwartung bescheinigte.

Tatsächlich war der Volvo Amazon von Anfang an ein Spätstarter, denn seine Erfolge als am Ende 667.000-fach verkaufter Welteroberer schienen ihm nicht in die Wiege gelegt. So wurden in den ersten neun Monaten nach Baubeginn nur 1.600 Autos auf dem Heimatmarkt verkauft, während vom altgedienten Volvo PV444 im gleichen Zeitraum 19.000 Fahrzeuge abgesetzt wurden. Auch der Export begann nur zögerlich, dabei fand die Publikumspremiere der vom Volvo-Chefdesigner Jan Wilsgaard gezeichneten Limousine 1956 gezielt im feinen London Earls Court statt. Zeitlos schöne Formen als repräsentativer Viertürer in aktueller Zweifarblackierung, ein Interieur im Format der damaligen Mercedes S-Klasse bei nur 4,45 Meter Außenlänge und das Ganze zu günstigen Mittelklasse-Preisen, woran lag die Zurückhaltung der Käufer?

Die Antwort fand sich 1958. Volvo spendierte der bisher bescheidene 44 kW/60 PS leistenden 1,6-Liter-Limousine einen optionale 63-kW/85-PS-Version mit Zweifachvergaser und dazu ein neues Vierganggetriebe als Ersatz für die antiquierte Dreigangbox. Zugleich begann 1958 der werbewirksame Bau eines modernen Werks bei Göteborg, die Fabrik Torslanda sollte Volvo fit machen für die Liga der europäischen Massenhersteller. Nun hoben die Verkaufszahlen für den Amazon ab, zumal zeitgleich auch Prominente wie die dänische Thronfolgerin Prinzessin Margarethe auf die Stärken des Amazon vertrauten.

Nachdem die schwedischen Ordnungshüter im Kampf gegen Verkehrssünder seit 1958 auf die warnende Wirkung des rallyeerprobten Amazon Sport mit damals aufsehenerregender zweifarbiger Polizei-Lackierung setzten, bestellten sogar viele Polizeibehörden außereuropäischer Staaten wie Peru, Chile oder Nigeria spurtstarke Amazonen. Zwar gab es werksseitig Sportmotoren mit bis zu 94 kW/128 PS, aber bei allen Marathonläufen wie der kanadischen 4.000-Meilen-Rallye triumphierte der Volvo trotz leistungsmäßiger Unterlegenheit gegenüber Porsche, Pontiac GTO oder Ford Falcon. Auch seiner Rolle als Frauenauto wurde der Volvo gerecht. Schließlich sollte der Name Amazon an jenes Volk kriegerischer Frauen aus der Antike erinnern, weshalb zumindest in frühen Werbeaufnahmen waffenbewehrte Damen neben dem Volvo posierten. Für Volvo wichtig war der damals relativ hohe Anteil weiblicher Käufer und die imagefördernden Erfolge von Rennfahrerinnen wie Sylvia Osterberg, die gleich mehrere Rallye-Championate auf dem Amazon gewann. Dies übrigens bereits mit einer zweitürigen Limousine, die erst im Oktober 1961 eingeführt wurde.

Während der Viertürer nun seine markante, aber modisch überlebte zweifarbige Lackierung einbüßte, sorgte unter der Haube der Amazon-Familie fortan das neue B18-Triebwerk aus dem Sportcoupé P1800 für Furore. Noch mehr Aufsehen erregten jedoch Coupéstudien auf Amazon-Basis und das vom belgische Karossier Jacques Coune 1963 auf dem Brüsseler Salon präsentierte Amazon Cabrio. Zur Enttäuschung vieler Frischluftfans gab es das formschöne Cabrio jedoch nur in einer limitierten Auflage. Dies galt sogar für den im August 1966 vorgestellten Amazon/123 GT mit potentem 76 kW/103 PS-Kraftwerk. Mit diesem 1.500-mal gebauten sportlichen Leistungsträger feierte die Amazon-Reihe ihren Karrierehöhepunkt.

Nachdem Ende 1967 der letzte Amazon Viertürer gebaut worden war, gab es Zweitürer und Kombi ab August 1968 noch mit dem auf 2,0-Liter-Hubraum vergrößertem B20-Motor und einem innovativen Abgasreinigungssystem. Aber der junge und deshalb technisch bessere Volvo 144 wurde des Volvo Amazon Feind. So überraschte es kaum jemanden, als im August 1969 das Ende für den Kombi kam und der Zweitürer zu Beginn des neuen Jahrzehnts seinen Abschied gab.


Chronik Volvo Amazon:
1956: Im Februar kommuniziert Volvo die künftige Amazon-Baureihe. Am 3. August enthüllt Volvo den P120/Amason (Schreibweise "Amazon" mit "z" erst ab Ende des Jahres) im schwedischen Skövde bei einer Händlerveranstaltung. Produktionsvorbereitung im Werk Lundby. Erste öffentliche Präsentation am 1. September im schwedischen Örebro. Weltpremiere auf der Londoner Earls Court Motorshow im Oktober. Als erster Automobilhersteller gründet Volvo eine Unternehmensdivision, die sich auf den Vertrieb an Diplomaten, Militärangehörige und Touristen konzentriert, um so den weltweiten Export zu forcieren
1957: Im Februar beginnt die Auslieferung des Amazon, dies vorläufig grundsätzlich nur in drei Farbvarianten (in rot bzw. schwarz mit hellgrauem Dach oder in hellgrau mit schwarzem Dach). Auf Sonderwunsch entstanden einige wenige einfarbige Amazon
1958: Jetzt auch dunkelblaue Lackierung mit hellgrauem Dach. Auf dem Genfer Salon debütiert der sportliche Amazon S. Volvo gründet eine Niederlassung in Deutschland. Zum Modelljahr 1959 werden ab August alle Volvo-Modelle P120/Amazon und PV 544 als weltweit erste Automobile serienmäßig mit Dreipunkt-Sicherheitsgurten vorne und mit optionalen Zweipunktgurten hinten ausgestattet. Der Amazon Sport wird auch von der schwedischen Polizei bestellt
1959: Zwei Volvo P122 S gehen bei der Rallye Monte Carlo an den Start und belegen beim Zieleinlauf die Plätze 28 und 44
1961: Ab Oktober auch als Zweitürer lieferbar, anfangs jedoch nur in Skandinavien. Zum neuen Modelljahr mit Motorengeneration B18 aus dem Sportcoupé P 1800
1962: Im Februar debütiert der Volvo P220/Amazon Combi. Die Auslieferung beginnt als P221 (Einfachvergaser) und P222 (Zweifachvergaser)
1963: Der belgische Karossier Jacques Coune präsentiert im Januar auf dem Brüsseler Salon ein Amazon Cabrio, das in Kleinserie geht. Am 11. September verlässt der erste in Kanada montierte Amazon das neue Werk Dartmouth/Nova Scotia
1964: Am 24. April eröffnet der schwedische König Gustav VI. Adolf das neue Volvo-Werk Torslanda in Hisingen bei Göteborg. Volvo benötigt dank des Amazon-Absatzerfolges Produktionskapazitäten von bis zu 200.000 Einheiten pro Jahr. Amazon-Modellpflege im August mit neuem Kühlergrill, modifiziertem Interieur und Ausstattung aller Versionen mit vorderen Scheibenbremsen
1965: Carl-Magnus Skogh gewinnt mit dem Amazon die Rallye Akropolis. In Belgien nimmt das Montagewerk Gent den Betrieb auf. Leichter Leistungszuwachs bei den Motoren durch höhere Verdichtung und modifizierte Nockenwelle. Der Volvo P120/Amazon erzielt mit 119.000 Einheiten sein bestes Verkaufsjahr. Produktionsende für den "Buckel-Volvo" PV544. Als Nachfolger des PV544 wird der zweitürige P121/Amazon Favorit mit einfacher Ausstattung eingeführt. In Peru, Chile, Nigeria und Griechenland wird der P122/Amazon als Polizeifahrzeug ausgeliefert. Die neu eingerichtete nationale schwedische Fahrzeugüberwachung ermittelt, dass Volvo-Modelle mit einem Durchschnittsalter von 13,3 Jahren die höchste Lebenserwartung aller geprüften Typen erzielen
1966: Der einmillionste Volvo, ein zweitüriges Exemplar der Serie 120, rollt vom Band. Im August geht der Volvo 144 an den Start, der designierte Nachfolger des P120/Amazon. Im selben Monat startet aber auch der 123 GT mit dem Triebwerk aus dem Sportcoupé P 1800. Die Auflage beträgt rund 1.500 Einheiten. Facelift für alle Amazon, erkennbar an modifiziertem Grill und neuen Rückleuchten. Bei der Safari-Rallye belegt Vorjahressieger (mit Volvo PV544) Joginder Singh auf Amazon den dritten Rang
1967: Singh siegt auf Amazon bei der Safari-Rallye. Die US-Exportversionen mit Zweifach-Vergaser erhalten ein Abgasreinigungssystem. In Schweden belegt der Amazon mit 19.252 Einheiten Platz eins der Zulassungsstatistik (vor Volvo 142/144), allerdings wird im Dezember die Produktion des viertürigen Amazon eingestellt. In den USA verkauft Volvo 33.189 Einheiten, was einem Zuwachs von 32 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht
1968: Im August werden Kombi und Zweitürer mit auf 2,0-Liter-Hubraum vergrößertem B20-Motor und Abgasreinigungssystem (wie in den USA) lieferbar
1969: Im August Produktionsauslauf für den Kombi. Kopfstützen vorne und Sicherheitsgurte auf den Rücksitzen werden beim Zweitürer Standard
1970: Am 3. Juli 1970 läuft im schwedischen Werk Torslanda der letzte Amazon vom Band. In Südafrika läuft die Montage des 122 S bis November

Produktionszahlen:
Volvo Amazon insgesamt offiziell 667.323 Einheiten (1956-1970),
davon offiziell:
Als viertürige Limousine
Volvo Amazon P1200 (1956/57) 249 Einheiten;
Volvo Amazon P1200 V/H (1957/58) 4.935 Einheiten;
Volvo Amazon P1200 VB/HB (1958) 6.898 Einheiten;
Volvo Amazon P12204, P12206 VB/HB, P12104 (1958) 2.918 Einheiten;
Volvo Amazon P12104, P12106UVB/P12206 (1958/59) 39.398 Einheiten;
Volvo Amazon P120 VD/HD (1960/61) 29.900 Einheiten;
Volvo Amazon P120 VE/HE (1961/62) 28.500 Einheiten;
Volvo Amazon P120 VF/HF (1962/63) 27.200 Einheiten;
Volvo Amazon P120 VG/HG (1963/64) 26.400 Einheiten;
Volvo Amazon P120 VK/HK (1964/65) 27.400 Einheiten;
Volvo Amazon P120 VL/HL (1965/66) 31.250 Einheiten;
Volvo Amazon P120 VM/HM (1966/67) 9.160 Einheiten.
Als zweitürige Limousine
Volvo Amazon P130 VA/HA (1961/62) 10.500 Einheiten;
Volvo Amazon P130 VB/HB (1962/63) 29.500 Einheiten;
Volvo Amazon P130 VD/HD (1963/64) 44.600 Einheiten;
Volvo Amazon P130 VE/HE (1964/65) 59.800 Einheiten;
Volvo Amazon P130 VF/HF (1965/66) 72.550 Einheiten;
Volvo Amazon P130 M (1966/67) 62.950 Einheiten;
Volvo Amazon P130 P (1967/68) 32.600 Einheiten;
Volvo Amazon P130 S (1968/69) 27.500 Einheiten;
Volvo Amazon P130 T (1969/70) 19.918 Einheiten.
Als viertüriger Kombi
Volvo Amazon P220 VA/HA (1962) 1.399 Einheiten;
Volvo Amazon P220 VB/HB (1962/63) 6.875 Einheiten;
Volvo Amazon P220 VD/HD (1963/64) 9.675 Einheiten;
Volvo Amazon P220 VE/HE (1964/65) 11.450 Einheiten;
Volvo Amazon P220 VF/HF (1965/66) 15.200 Einheiten;
Volvo Amazon P220 M (1966/67) 17.200 Einheiten;
Volvo Amazon P220 P (1967/68) 8.500 Einheiten;
Volvo Amazon P220 S (1968/69) 2.897 Einheiten.

Wichtige Motorisierungen:
Volvo P1200/P120/Amazon Viertürer (1956-1961) mit 1,6-Liter-(44 kW/60 PS bzw. mit 63 kW/85 PS)-Vierzylinder-Benziner;
Volvo P120/Amazon Viertürer (1961-1967) mit 1,8-Liter-(55 kW/75 PS bzw. mit 66 kW/90 PS bzw. mit 70 kW/95 PS)-Vierzylinder-Benziner;
Volvo P130/Amazon Zweitürer (1961-1970) mit 1,8-Liter-(55 kW/75 PS bzw. mit 63 kW/85 PS bzw. mit 66 kW/90 PS bzw. mit 70 kW/95 PS bzw. 74 kW/100 PS bzw. 76 kW/103 PS bzw. mit 85 kW/115 PS bzw. mit 87 kW/118 PS)-Vierzylinder-Benziner;
Volvo P220/Amazon Combi (1962-1969) mit 1,8-Liter-(55 kW/75 PS bzw. mit 63 kW/85 PS bzw. mit 66 kW/90 PS bzw. 74 kW/100 PS)-Vierzylinder-Benziner.

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